Die Fasnacht 2024 ist vorbei. Begonnen hatte sie traditionsgemäss am Schmutzigen Donnerstag mit der Chesslete. Oberchessler Silvan Studer wählte dabei eine Route, die über den kürzlich erneuerten – und bekanntlich heiss umstrittenen – Postplatz führte. Die Routenwahl sorgte für Kontroversen.
Im Rahmen der Liveberichterstattung dieser Zeitung gab Studer, unmittelbar nach dem Ende der Chesslete, frühmorgens ein Videointerview. Gefragt nach der Wahl seiner Route, erklärte er im Video: «Wir haben nachgeschaut, es gibt ein Oberchessler-Buch. Und 1874 ist man genau diese Route schon einmal gelaufen.» Jetzt, wo der Postplatz erneuert worden sei, habe er diese Route eben wieder hervorgekramt. «Wir konnten erstmals den neuen Platz umrunden.»
Ähnliches sagte Studer auch in die Mikrofone anderer Medien, die seine Aussage ebenfalls – mitunter noch in den Morgenstunden – in besten Treu und Glauben verbreiteten.
Doch jetzt zeigt sich: Studer dürfte es hier mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben. Er dachte sich den geschichtlichen «Überbau» zur Wahl seiner Routenführung offenbar teilweise aus – um andere, nun, zum Narren zu halten? Dies sickerte im Rahmen der närrischen Abdankung der Narrenzunft Honolulu am Aschermittwoch durch. Studer lieferte damit als Mitglied der Zunft seinem Ober Fabian Schäfer eine Pointe: Der Journalist konnte sich über seine Berufskollegen lustig machen.
Plausibel tönte die von Studer verbreitete Geschichte freilich durchaus: Ein Postgebäude wurde am heutigen Postplatz zwar erst in den 1890er-Jahren errichtet. Doch schon in den Jahrzehnten zuvor hatte der dortige Platz laut Aufzeichnungen eine zentrale Funktion in der Stadt – als Grossviehmarkt.
Auch könnte 1874 bereits eine Chesslete stattgefunden haben. Schliesslich war es just Oberchessler Studer, der noch vor der Fasnacht in einem Interview mit dieser Zeitung zu einem historischen Exkurs ansetzte: «1869 soll die erste Chesslete stattgefunden haben, damals noch als Trommler-Umzug der Narrenzunft Honolulu.» Wobei hier anzumerken ist, dass in der einschlägigen Fasnachtsliteratur teilweise auch 1888 als eigentliches «Geburtsjahr» der Chesslete genannt wird.
Und das von Studer erwähnte Oberchessler-Buch? Verfügt der jeweilige Oberchessler der – bei Interna naturgemäss verschwiegenen – Narrenzunft Honolulu tatsächlich über ein solches? Öffentlich bekannt war dies bislang nicht. Ober Schäfer sprach an der Närrischen Abdankung jedenfalls vom «angeblichen Oberchessler-Buch».
Was also stimmt nun an Studers Geschichte – und wo hat er diese mit Fiktion ausgeschmückt? Es ist eine Frage, die nicht nur fasnachtshistorisch beschlagene oder auf Bewahrung der Tradition bedachte Menschen interessieren dürfte.
Studer selbst beteuert auf Anfrage dieser Zeitung: Es existiere ein Buch, das von Oberchessler zu Oberchessler weitergegeben werde. «Darin finden sich beispielsweise historische Fotos.» Genauer seien die jeweiligen Routen im besagten Buch jedoch nicht dokumentiert. Und wo soll denn nun die Route der – man muss betonen: mutmasslich stattgefundenden – Chesslete 1874 durchgeführt haben? So genau sei dies nicht bekannt. Er habe festgestellt, dass die Chesslete früher schon einmal über den heute als Postplatz bekannten Platz geführt habe. «Und so habe ich mich gewissermassen zu dieser Geschichte inspirieren lassen», erklärt Studer vage.